„Wer einen sinnstiftenden Beruf nah am Menschen sucht, der ist in der Pflege genau richtig.“

Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention im Interview mit dem bpa-Magazin

Judith Gerlach, Bayerns Ministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention
Judith Gerlach, Bayerns Ministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention

bpa-Magazin: Frau Staatsministerin, Sie haben Ende letzten Jahres das Amt als bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin übernommen. Welchen Stellenwert hat die Pflege auf Ihrer Agenda?

Judith Gerlach: Einen ganz zentralen. Die Pflege gehört zu den gesellschaftlichen Megathemen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. Zwei zentrale Faktoren spielen insoweit eine Rolle: die demografische Entwicklung und das Ringen um ausreichend Fachkräfte. Nach Prognosen des Landesamtes für Statistik wird in den kommenden 20 Jahren die Zahl der Menschen in Bayern über 65 Jahre deutlich steigen, die Zahl der Bürgerinnen und Bürger im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 wird demnach hingegen zurückgehen. Das bedeutet, wir werden mehr alte Menschen – und damit voraussichtlich auch mehr pflegebedürftige Menschen zu versorgen haben. Demgegenüber steht der Wettbewerb um Fachkräfte in allen Bereichen des Lebens und Wirtschaftens, der sich weiter verschärfen wird. Diese immense Herausforderung müssen wir jetzt angehen und dabei langfristig denken und vorausschauend handeln.

 

bpa-Magazin: Private Einrichtungen versorgen mehr als ein Drittel der professionell versorgten Pflegebedürftigen im Freistaat. Welche Bedeutung haben die privaten Unternehmerinnen und Unternehmer für Sie?

Judith Gerlach: Private Unternehmen sind bei der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung nicht wegzudenken. Gemessen an der Zahl der Pflegeeinrichtungen stellen private Anbieter die Hälfte der Einrichtungen und versorgen mehr als 16 Prozent aller Pflegebedürftigen bzw. etwa 38 Prozent der Pflegebedürftigen, die in Pflegeheimen oder mit Unterstützung durch Pflegedienste betreut und versorgt werden. Trägervielfalt ist wichtig, um die steigende Zahl der Pflegebedürftigen angemessen betreuen zu können. Darum ist klar: Das Pflegeversicherungsrecht darf Anbietern mit innovativen Ideen nicht im Weg stehen. Das Pflegeversicherungsrecht muss konsequent vereinfacht werden – und Versorgungsangebote müssen sich am Bedarf der Pflegebedürftigen orientieren können und nicht an Abrechnungsfragen.

 

bpa-Magazin: Der Personalmangel hat die Pflege im Würgegriff. Neben einer beschleunigten Zuwanderung muss unbedingt die Ausbildung gesichert und verbreitert werden. Was planen Sie, um die Pflegeausbildung zu stärken?

Judith Gerlach: Der Bund hat 2020 die generalistische Pflegeausbildung eingeführt. Sie ist breiter, moderner und flexibler. In Bayern setzen wir alles daran, dass die Ausbildung möglichst attraktiv gestaltet wird und sich die Auszubildenden während der Ausbildung gut betreut fühlen. Der Bund will mit der Einführung eines Pflegekompetenzgesetzes (PfleKompG) die Qualifikation und die Rolle der professionell Pflegenden in der Versorgung noch weiter stärken. Das begrüße ich ausdrücklich, denn das ist ein wichtiger Schritt nach vorne für den Pflegeberuf. Viele dieser geplanten Maßnahmen hat Bayern immer wieder vorgeschlagen, um sowohl die Attraktivität des Berufs als auch dessen Zukunftsfähigkeit zu sichern.

Auch die Akademisierung der Pflege ist entscheidend. Wir brauchen angesichts der zunehmenden Komplexität des Versorgungsgeschehens in Zukunft auch deutlich mehr akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte. Ich bin erfreut, dass der Bund auf Drängen Bayerns nun endlich mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) die Finanzierungslücken in der hochschulischen Pflegeausbildung zum 1. Januar 2024 geschlossen hat – denn zu einer Attraktivitätssteigerung des Studiums gehört insbesondere eine angemessene Vergütung für die Studierenden. Gemeinsam mit den Hochschulen und den Trägern der praktischen Ausbildung setzen wir nun die neuen Regelungen in Bayern um. Ich denke diese Reformen nicht nur aus dem Blickwinkel der eher kurzfristigen Attraktivitätssteigerung, sondern auch unter Strukturgesichtspunkten und in Hinblick auf Fragen der Organisationsentwicklung: Wie können durch Verantwortungsübernahme an geeigneten Positionen Zusammenarbeit, Versorgungsstrukturen und Prozesse zukunftsfähig gestaltet werden?

 

bpa-Magazin: Die Monitoringstudie Pflegepersonalbedarf Bayern 2023 warnt davor, dass schon in wenigen Jahren der Nachwuchs nicht mehr ausreicht, um die Renteneintritte zu kompensieren. Kann in so kurzer Zeit überhaupt noch etwas verändert werden?

Judith Gerlach: Das ist die große Herausforderung. Dafür gibt es keine einfache Lösung, sondern nur komplexe Antworten, die das ganze Pflegesystem betreffen. Deswegen ist es wichtig, dass Bund, Länder, Träger und Verbände zusammenarbeiten und gemeinsam Lösungswege erarbeiten. Attraktive Arbeitsbedingungen sind ein wichtiger Baustein. Hier macht Bayern schon einiges, etwa mit der Förderung eines Modellprojekts, bei dem insgesamt 33 innovative Springerkonzepte in Langzeitpflegeeinrichtungen (im ambulanten und stationären Bereich) erprobt werden. Viel aber müssen die Arbeitgeber, also die Träger, tun, um den Beruf langfristig attraktiv zu machen.

Ein weiterer Baustein ist die Ausbildung. Ich bin froh, dass die Bundesregierung mit der generalistischen Ausbildung die maßgeblichen Weichen gestellt hat. Neben der Pflegeausbildung hat sich mittlerweile auch das Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland durch die Einrichtungen als wichtige Komponente im Kampf gegen den Fachkräftemangel entwickelt. Um die Einrichtungen auf diesem Weg zu unterstützen, haben wir in Bayern im letzten Jahr die aufenthalts- und anerkennungsrechtlichen Verfahren ausländischer Pflegefachkräfte in Bayern beschleunigt, vereinfacht und digitalisiert – die sogenannte Fast-Lane.

Auch die Finanzierung und damit eine Reform der Pflegeversicherung ist wichtig. Attraktive Arbeitsbedingungen gibt es langfristig nur in einem solide finanzierten System. Ich fordere daher eine umfassende Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung, in deren Mittelpunkt eine Vereinfachung des Leistungsrechts stehen muss. Des Weiteren gewinnt die Digitalisierung in der Versorgung pflegebedürftiger Personen zunehmend an Bedeutung und bietet enorme Chancen für die Pflege. Im Rahmen des Modellprojekts „Pflege 2030“ wird ein neuer Personalmix nach dem Personalbemessungssystem mit Unterstützung technischer Innovationen erprobt und dabei das Personal zielgerichtet und mit den jeweiligen Kompetenzen teamorientiert im Sinne optimierter Arbeitsstrukturen eingesetzt. Ich erwarte mir eine wegweisende Erprobung eines optimierten Personaleinsatzes. Vorrangiges Ziel ist es dabei, allen Beteiligten in der Langzeitpflege das Leben zu vereinfachen, aufwändige Prozesse zu verschlanken und gleichzeitig die Qualität in der Pflege und Betreuung zu verbessern.

 

bpa-Magazin: Es geht auch um Geld: Gerade die früheren Altenpflegeschulen haben es vielfach schwer, eine auskömmliche Finanzierung der Investitionskosten zu bekommen. Wie sind Sie diesem Problem in Bayern begegnet?

Judith Gerlach: Der Freistaat Bayern kann nach dem Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz notwendige, schulaufsichtlich genehmigte Baumaßnahmen für staatlich anerkannte Ersatzschulen durch Zuwendungen fördern, soweit Errichtung und Betrieb der Schule im öffentlichen Interesse liegen. Weiterhin gewährt der Freistaat Bayern Zuwendungen zur Förderung von Miet- und bestimmten Investitionskosten für die Raum- und Geschäftsausstattung von privaten Berufsfachschulen für Pflege.

 

bpa-Magazin: Die klassische Altenpflegeausbildung war ein Erfolgsmodell. Seit Einführung der Generalistik stottert der Jobmotor in der Pflege – mit zuletzt einem bundesweiten Rückgang um 7 Prozent. Welche Stellschrauben gibt es aus Ihrer Sicht, damit die Altenpflege nicht weiter die Verliererin der Generalistik ist?

Judith Gerlach: Die Weiterentwicklung der getrennten Ausbildungen der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege hin zu einer einheitlichen Pflegeberufsausbildung ist der richtige Ansatz, um auf die Herausforderung des Fachkräftemangels zu reagieren. Die Anforderungen an Pflegefachkräfte haben sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den letzten Jahren stark verändert. Die veränderte Versorgungsstruktur bedingt eine reformierte Ausbildung in der Pflege und schafft dabei ein neues generalistisches Pflegeverständnis. Nur so kann man den durch den wachsenden Wandel der Versorgungsstrukturen bedingten Änderungen gerecht werden.

Vor allem in Langzeitpflegeeinrichtungen werden zunehmend komplexere Behandlungen vorgenommen, für die vertiefte medizinisch-pflegerische Kenntnisse notwendig sind. Um diesen Entwicklungen tragfähige Lösungen entgegenzusetzen, ist die Generalistik der richtige Weg, damit die Auszubildenden umfassende Kompetenzen in verschiedenen Pflegesettings erlangen und dadurch die Pflege von Menschen aller Altersstufen und in allen Versorgungssettings zukünftig gewährleistet wird.

Ich kann übrigens für Bayern nicht bestätigen, dass Auszubildende aus der Langzeitpflege in die stationäre Akutpflege abwandern: Bei Trägerwechseln innerhalb der Ausbildung hat die deutliche Mehrheit der Auszubildenden den Versorgungsbereich nach Daten des Pflegeausbildungsfonds (PAF) nicht gewechselt. Über die Jahrgänge 2013/2014 bis 2022/2023 lässt die bestehende Datengrundlage konstante Absolventenzahlen verzeichnen, auch unter Berücksichtigung der Generalistik. Zudem muss bedacht werden, dass neben den Auszubildenden mit Trägern der praktischen Ausbildung in der Langezeitpflege auch Auszubildende aus den anderen Versorgungsbereichen nun potenzielle Pflegefachkräfte für die Zukunft darstellen. Der Topf, aus dem auch die stationäre Langzeitpflege schöpfen kann, hat sich damit deutlich vergrößert.

 

bpa-Magazin: Der Pflegeberuf bietet gut bezahlte und krisenfeste Jobs vor der Haustür. Wie überzeugen Sie junge Menschen, diesen beruflichen Weg einzuschlagen?

Judith Gerlach: Wer einen sinnstiftenden Beruf nah am Menschen sucht, der ist in der Pflege genau richtig. Die Pflege ist obendrein ein sicherer Beruf mit vielen Jobmöglichkeiten. Wir wollen unsererseits alles dafür tun, auch die Rahmen- und Arbeitsbedingungen zukunftsfest zu gestalten. Um Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen und mit Vorurteilen aufzuräumen, haben wir die Kampagne „NEUEPFLEGE.bayern“ zur generalistischen Pflegeausbildung gestartet. Unter dem Motto „Neue Pflege – Eine Ausbildung. Mehr Möglichkeiten.zeigt unsere Kampagne, wie herausfordernd, aber auch abwechslungsreich und spannend der Pflegeberuf ist. Insbesondere bayerische Pflegeeinrichtungen haben die Möglichkeit, Kampagnenmaterialien wie z. B. Give Aways oder einen Messestand kostenlos zu nutzen, um gemeinsam mit uns motivierten Nachwuchs für den Pflegeberuf zu gewinnen.