Reform des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes Handlungsfähigkeit der Anbietenden in der Pflege und Eingliederungshilfe sicherstellen

Vor fast 15 Jahren trat das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) in Kraft: Der bpa begrüßt es daher, nach dieser Zeit die Regelungen auf ihre Praxistauglichkeit und im Lichte der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung zu prüfen und zu bewerten.

Das WBVG stärkt maßgeblich die Interessen älterer, pflegebedürftiger Menschen sowie die der Menschen mit Behinderung. Aus Sicht des bpa ist der Verbraucherschutz selbstverständlich auch künftig zu wahren. Dennoch ist es zwingend erforderlich, die Interessen der Anbietenden in der Pflege und in der Eingliederungshilfe ebenfalls im Fokus zu behalten. Die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher sind mit denen der Unternehmenden in Einklang zu bringen. Ein überbordender Verbraucherschutz und höhere Anforderungen werden schlichtweg nicht umsetzbar sein und zudem mit einer Einschränkung der Vertragsfreiheit für diejenigen einhergehen, die man gerade schützen will.

Eine Reform des WBVG sollte Anlass geben, zwingend erforderliche Schritte zur Vereinfachung und Entbürokratisierung der überaus komplexen Regelungen vorzunehmen. Viele Pflege- und Eingliederungshilfeeinrichtungen befinden sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Die Gründe hierfür sind vielfältig; als Beispiele seien die extremen personellen Engpässe sowie immer neue politische und wirtschaftliche Herausforderungen genannt. In der Folge müssen Angebote drastisch eingeschränkt werden; Insolvenzen und Betriebsschließungen sind mittlerweile keine Einzelfälle mehr. Weitere bürokratische Hürden werden diese Entwicklung unweigerlich befördern. Vor dieser Situation darf auch der Verbraucherschutz nicht die Augen verschließen. Die bereits jetzt sehr hohen Anforderungen an die Unternehmen noch weiter hochzuschrauben, wäre auch den betroffenen Verbrauchern und Verbraucherinnen nicht dienlich. Vor allem schadet dies den Einrichtungen, auf die die Betroffenen angewiesen sind.

Vor diesem Hintergrund gehen wir nachfolgend auf zwei besonders entscheidende Aspekte ein. Darüber hinaus verweisen wir auf unsere Stellungnahme zum Diskussionsentwurf.

Entgelterhöhungsschreiben

Zwingender Änderungsbedarf herrscht bei den Entgelterhöhungsschreiben. Die derzeitigen rechtlichen Anforderungen überfordern Pflege- und Eingliederungshilfeeinrichtungen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher gleichermaßen. Sie befördern ein nicht länger erträgliches Maß an Bürokratie ohne nachvollziehbare Notwendigkeit. Die Kommentarliteratur zu den Anforderungen füllt Seiten; Rechtsanwältinnen und -anwälte lehnen Aufträge zur Erstellung von Ankündigungsschreiben ab; von ihnen verfasste Ankündigungsschreiben umfassen häufig zwischen 10 und 15 Seiten, deren Verständlichkeit ohne juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse zumindest bezweifelt werden darf. Verbraucherschutzverbände werben mit Schlagzeilen wie „Entgelterhöhung im Pflegeheim – So können Sie dagegen vorgehen“ und stellen fest, dass bis zu 70 Prozent „der geprüften Entgelterhöhungen“ fehlerhaft seien.

Um gesetzlich vorgeschriebene Gehaltssteigerungen an Beschäftigte weiterzugeben und andere steigende Kosten decken zu können, besteht für Unternehmen die Notwendigkeit, jährlich mit den Kostenträgern Verhandlungen über Vergütungs- bzw. Pflegesatzvereinbarungen zu führen. Im Rahmen der Verhandlungen werden Vergütungen bzw. Pflegesätze ausgehandelt, die nach den gesetzlichen Bestimmungen leistungsgerecht sein müssen. Das bedeutet, dass ausschließlich Refinanzierungen berücksichtigt werden können, die angemessen sind. Die mit den Kostenträgern vereinbarten Entgelterhöhungen setzen Unternehmen gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern um. Diese sind vorab umfassend über die Erhöhungen im Rahmen eines Entgelterhöhungsschreibens zu informieren; die gesetzlichen Anforderungen finden sich in § 9 WBVG.

Die Entgelterhöhungen korrekt und für Verbraucherinnen und Verbraucher weitgehend verständlich darzustellen, ist äußerst komplex. Das hat den Hintergrund, dass die Änderung der Berechnungsgrundlage jeglicher Kostenpositionen aufzuzeigen ist. Das betrifft beispielsweise steigende Personal- und Sachkosten sowie Investitionsaufwendungen. Die Veränderung der Berechnungsgrundlage muss gegenübergestellt werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehen können, was sich ändern wird. Zudem müssen alle Veränderungen umfassend begründet werden. Die Erhöhung muss auf konkrete Veränderungen der Berechnungsgrundlage gegründet sein. Dabei sind allgemeine Hinweise auf gestiegene Kosten nicht ausreichend. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen erkennen können, ob die Berechnung der neuen Beträge korrekt und die Forderung berechtigt ist. Dabei sind alle Kostenpunkte und Änderungen allgemein und auf die Bewohnerinnen und Bewohner individuell zugeschnitten darzustellen. Mit anderen Worten: Die komplizierten Vereinbarungen mit den Kostenträgern müssen rechtssicher und zugleich möglichst verständlich für Laien dargestellt werden. Eine Hürde, die kaum zu überwinden ist und die von Verbraucherschutzverbänden vielfach zum Anlass genommen wird, Unterlassungsansprüche geltend zu machen.

Dabei fällt ein Paradoxon auf: Das WBVG sieht vor, dass das mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern vereinbarte Entgelt angemessen zu den Leistungen sein muss. Dabei wird unterstellt, dass die mit den jeweils zuständigen Kostenträgern (also Pflegekassen, Eingliederungshilfeträger, Sozialhilfeträger) nach dem SGB IX, XI oder XII vereinbarten Entgelte und Entgelterhöhungen angemessen sind und so den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Rechnung gestellt werden dürfen. Welchen Sinn dann eine detaillierte Aufschlüsselung im Rahmen eines Entgelterhöhungsschreibens hat, wenn ohnehin eine Bindung an die Vergütungs- bzw. Pflegesatzvereinbarung besteht, erschließt sich nicht.

Der bpa fordert daher, die Anforderungen an die Entgelterhöhungsschreiben maßgeblich zu erleichtern und dabei auch den Widerspruch zu der unterstellten Angemessenheit von Vereinbarungen mit Kostenträgern und den gesetzlichen Anforderungen an die Schreiben aufzulösen.

 

Ambulante Pflegeverträge

Die Aufnahme der ambulanten Pflegeverträge in das Gesetz lehnt der bpa entschieden ab.

Die Zusammenführung der vertragsrechtlichen Regelungen ehemals im Heimgesetz und aktuell im WBVG hat ihren Grund auch darin, dass der Heimvertrag als gemischter Vertragstyp dienst- und mietvertragliche Elemente enthält, die in einen sinnvollen Einklang zu bringen waren bzw. sind. Schon diese Besonderheit ist beim ambulanten Pflegevertrag als Dienstvertrag nicht gegeben. Bereits jetzt bestehen umfassende gesetzliche Vorgaben zu dem Pflegevertrag, maßgeblich in § 120 SGB XI und flankiert von anderen Gesetzen wie beispielsweise dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Der Verbraucherschutz ist damit auch gegenwärtig hinreichend gewährleistet.

Eine Einbindung ambulanter Versorgungsformen steht darüber hinaus im Widerspruch zu Sinn und Zweck des WBVG. Grundlage der Regelungen dieses Gesetzes ist der besondere Schutzbedarf aufgrund der doppelten Abhängigkeit der Verbraucher und Verbraucherinnen vom Unternehmen in Bezug auf die Überlassung des Wohnraumes zur Begründung eines neuen, oftmals letzten Lebensmittelpunktes verbunden mit der gleichzeitigen Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen. Dieser Schutzbedarf besteht im ambulanten Bereich gerade nicht.

Die Pflegebedürftigen sind bei der Inanspruchnahme ambulanter Pflegeleistungen in der Häuslichkeit in höchstem Maße flexibel. Dies gilt hinsichtlich der verbraucherseitig jederzeit möglichen fristlosen Kündigung ebenso wie für Vertragsanpassungen, die fast ausschließlich auf Wunsch der Verbraucher und Verbraucherinnen und oft auch sehr kurzfristig erfolgen. Die in der ambulanten Pflege gelebte Flexibilität ist notwendig und darf nicht durch Übertragung von Regelungen aus dem stationären Bereich konterkariert werden. Die Ausweitung des WBVG auf die ambulante Pflege wäre darüber hinaus mit einer erheblichen Steigerung des Erfüllungsaufwands für die Pflegeunternehmen verbunden. Ein Bürokratieschaffungsprogramm kann nicht im Sinne der Bundesregierung sein.