Regulierungsvorschlag für eine Kompetenzvermutung

Anerkennung für internationale Pflegefachkräfte vereinfachen – mit der Kompetenzvermutung

Die Pflege in Deutschland ist längst zu einem erheblichen Anteil auf die Anwerbung und Anerkennung von internationalen Pflegefachkräften angewiesen. Die Zahlen aus aktuellen Erhebungen zum zukünftigen Bedarf an Pflegekräften machen dies mehr als deutlich:

  • In den nächsten 10 Jahren müssen in fast jedem Bundesland mehr als 20% Personal ersetzt werden, um die altersbedingt Ausscheidenden zu ersetzen. Dies entspricht etwa 250.000 Personen. Der zusätzliche Bedarf an professionell Pflegenden, der durch den Anstieg der pflegebedürftigen Personen entsteht, ist dabei nicht berücksichtigt. (Quelle DAK-Pflegereport 2024)
  • Bis zum Jahre 2030 werden zudem noch 180.000 zusätzliche Fach- und Hilfskräfte in der Pflege benötigt. (Quelle BARMER-Pflegereport 2023)
  • Bis zum Jahr 2030 steigt die Zahl der Pflegebedürftigen auf bis zu 6,1 Mio. (Quelle Statistisches Bundesamt)

Gleichzeitig gelingt es nur in einem unzureichenden Maße und vor allem quantitativ spürbar, ausländische Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen einzusetzen. Die behördlichen Berufsanerkennungsverfahren im reglementierten Bereich Pflegeberufe der zuständigen Stellen in den Bundesländern sind immer noch die größte Hürde beim Einsatz von mehr qualifizierten Fachkräften in der ambulanten und stationären Pflege. Auch durch die neuen Regelungen im Pflegestudiumstärkungsgesetz von Ende 2023 wurden die Anerkennungsverfahren nicht durchgreifend vereinfacht oder beschleunigt. Dies ist strukturell durch den Personalmangel in den Anerkennungsbehörden und die unzureichende Digitalisierung bedingt. Auch die neue Möglichkeit eines Verzichts auf eine ausführliche Prüfung der Gleichwertigkeit nach § 40 Abs. 3a PflBG kann keine wesentliche Beschleunigung erzielen, weil es schlichtweg an Schul- und Lehrkapazitäten in den Pflegeschulen zur Vorbereitung und Abnahme der Kenntnisprüfung zum Nachweis des gleichwertigen Kenntnisstandes fehlt. Die langwierigen und kostenintensiven Anerkennungsverfahren wirken einerseits hinderlich für die – gewünschte und benötigte – Fachkräftezuwanderung in der Pflege und andererseits auch stark abschreckend für die internationalen Pflegefachkräfte, welche in ihren Heimatländern eine sehr gute und oft akademische Pflegeausbildung durchlaufen haben und weltweit respektiert und anerkannt sind. Sie müssen dann in Deutschland erleben, dass man ihnen im Rahmen des zeitlich viel zu langen Anerkennungsverfahrens ihre Kompetenzen abspricht und sie teilweise über Jahre als Hilfskräfte im Bereich der Grundpflege und Hauswirtschaft arbeiten müssen, weil angeblich Teile der Ausbildung fehlen (meist aber eben nur diese Grundpflege, da die Behandlungspflege in den Herkunftsstaaten auf höherem Niveau als in Deutschland gelehrt wird) und nach Auffassung der Anerkennungsbehörden daher „wesentliche Unterschiede“ zur deutschen Ausbildung vorliegen.

Deutschland kann sich diese restriktive Haltung und überzogenen Hürden in der aktuellen Versorgungskrise in der Pflege mit zunehmend wegbrechenden Versorgungsstrukturen und anstehenden Verrentungswellen beim Pflegepersonal keinesfalls weiterhin leisten, wenn ein Zusammenbruch der Versorgung abgewendet werden soll. Befürchtungen vor einer qualitativ schlechten Pflege durch ausländische Pflegefachkräfte sind völlig fehl am Platz. Der bpa setzt sich stattdessen für eine sog. Kompetenzvermutung für alle mindestens dreijährig beruflich oder akademisch ausgebildeten Pflegefachkräfte aus dem Ausland mit den zur Berufsausübung erforderlichen deutschen-Sprachkenntnissen ein, um eine schnelle und unbürokratische Anerkennung – gegebenenfalls unter Auflagen von berufsbegleitenden Ausgleichsmaßnahmen – schon frühzeitig zu ermöglichen. Dabei wird der Schutz der Pflegebedürftigen dadurch gewahrt, dass nur mindestens dreijährig ausgebildete Pflegefachkräfte mit den zur Berufsausübung erforderlichen deutschen Sprachkenntnissen von der Kompetenzvermutung profitieren und auch dort Anpassungsmaßnahmen als Auflage ausgesprochen werden können, sofern die Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe in bestehenden Mustergutachten bereits wesentliche Unterschiede festgestellt hat.

Die vorgeschlagene Kompetenzvermutung könnte in einem § 40 Abs. 2a Pflegeberufegesetz gesetzlich wie folgt normiert werden:

(2a) 1Die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes ist als gegeben anzusehen, wenn die antragstellende Person eine mindestens dreijährige Berufsausbildung in der Pflege oder ein mindestens dreijähriges Hochschulstudium in der Pflege erfolgreich abgeschlossen hat und damit im Ausbildungsstaat zur unmittelbaren Berufsausübung in der Pflege berechtigt ist (Kompetenzvermutung). 2Dies gilt nicht, soweit bereits ein Mustergutachten der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe besteht, in dem wesentliche Unterschiede nach Absatz 2 Satz 2 festgestellt wurden. 3In diesem Fall bereits festgestellter wesentlicher Unterschiede erfolgen die gesonderte Feststellung der Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation im Sinne von § 43 und bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 2 Nummer 2 bis 4 die Erteilung der Berufserlaubnis mit der Auflage, dass die antragstellende Person eine Kenntnisprüfung oder einen Anpassungslehrgang zu absolvieren hat. 4Kenntnisprüfung und Anpassungslehrgang können dabei auch berufsbegleitend erfolgen. 5Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

Zur Erläuterung

Satz 1 der Regelung stellt eine allgemeine Vermutungsregelung für die Gleichwertigkeit von ausländischen Pflegeausbildungen mit einer Mindestdauer von drei Jahren auf, unabhängig davon, ob diese Ausbildung beruflich oder hochschulisch erfolgte. Denn die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass die im Ausland erworbenen Pflegeausbildungen bei einer Mindestdauer von drei Jahren (in Vollzeit) regelmäßig die Anforderungen an die medizinisch-pflegefachlichen Ausbildungsinhalte in Deutschland erfüllen oder sogar übertreffen. Lediglich im Bereich der praktischen Ausbildungsinhalte ergeben sich gegebenenfalls Unterschiede, da die Ausbildungen in den Herkunftsländern überwiegend (hoch)schulisch erfolgen. Diese sind aber nicht so gravierend, dass eine Gleichwertigkeit versagt werden sollte. Es ist in jedem Fall besser, eine Fachkraft mit einer abgeschlossenen Pflegefachkraftausbildung aus dem Ausland in der Versorgung einsetzen zu können als gar keine Versorgung mit Fachkräften zu ermöglichen.

Satz 2 und 3 schreiben vor, dass die Kompetenzvermutung dann nicht zum Tragen kommt, soweit die Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe der Kultusministerkonferenz bereits wesentliche Unterschiede festgestellt hat. In diesem Fall muss die Feststellung der Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation und die Erteilung der Berufserlaubnis in der Pflege unter der Auflage von Anpassungsmaßnahmen erfolgen. Die Erteilung von Auflagen ist ein allgemein zulässiges und anerkanntes Instrument im Verwaltungsrecht, um Genehmigungen oder Erlaubnisse frühzeitig erteilen zu können, obwohl noch weitere Anforderungen für eine endgültige Bestandskraft erfüllt werden müssen. Bei nicht fristgemäßer Erfüllung der Auflage wäre die Berufserlaubnis entsprechend § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwVfG zu widerrufen. Der § 3 PflBG könnte dazu noch um einen entsprechenden Widerrufsgrund erweitert werden. Aber auch beim Widerruf bliebe ein reguläres Anerkennungsverfahren ohne Kompetenzvermutung weiterhin möglich.

Nach Satz 4 können diese Anpassungsmaßnahmen im Unterschied zum Anerkennungsverfahren nach § 40 Abs. 2 PflBG auch berufsbegleitend zur bereits in Deutschland ausgeübten Pflegefachkrafttätigkeit absolviert werden. Satz 5 verweist für die Anpassungsmaßnahmen auf die Wahlfreiheit zwischen Anpassungslehrgang und Kenntnisprüfung.

Gesamteinschätzung

Insgesamt würde diese neue Regelung des § 40 Abs. 2a PflBG nach Einschätzung des bpa zu einer wesentlichen Vereinfachung und Beschleunigung der Anerkennung in der Pflege und damit zu einer wesentlichen Stärkung der Fachkräftesicherung sorgen. Ebenso würde die Regelung zu einer erheblichen Entlastung der Anerkennungsbehörden führen.